Bis sich die Balken biegen: So reagieren Eltern richtig, wenn Kinder lügen

Ehrlichkeit ist eine Eigenschaft, die Eltern schon früh bei ihren Kindern thematisieren. Doch die Kleinen lügen trotzdem hin und wieder. Familientherapeutin Simone Kriebs und Erziehungsberaterin Martina Stotz geben Tipps zum Umgang mit kindlichen Lügen.

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„Lügen haben kurze Beine“ oder „ehrlich währt am längsten“: Die meisten Kinder kennen diese bekannten Weisheiten und auch die Geschichte von Pinocchio und seiner wachsenden Nase. Doch obwohl sie zu wissen scheinen, dass Lügen in unserer Gesellschaft nicht erwünscht sind, tun sie es trotzdem. Sie erzählen uns zum Beispiel, dass sie die Schokolade des Bruders nicht gegessen haben, obwohl sie noch kauend vor uns stehen.

Ist lügen eigentlich normal? Und wie reagiert ihr als Eltern am besten darauf? Zunächst solltet ihr wissen, dass jedes Kind ab und zu schwindelt. Das Lügen gehört laut Erziehungsberaterin Martina Stotz zur kindlichen Entwicklung. Dabei gibt es verschiedene Arten von Lügen. Diese hängen vom Alter des Kindes und seiner Intention ab.

Flunkern in der magischen Phase

Kleinkinder im Alter von etwa zwei bis vier Jahren erkennen laut Stotz die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit noch nicht. Sie befinden sich inmitten der sogenannten „magischen Phase“, in der sie auch an Monster, Geister oder Hexen glauben. Deswegen erzählen sie Geschichten mit vielen Details, die sich teilweise absolut realistisch anhören, aber nicht im Entferntesten der Wahrheit entsprechen. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie lügen, da sie selbst an ihre Erzählung glauben.

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„Viele Dinge, die in der Fantasie stattfinden, sind für ein Kind real“, erklärt Familientherapeutin Simone Kriebs. Deswegen sei das auch kein lügen. Es könne sein, dass das Kind ein erfundenes Ereignis in der Fantasie oder im Spiel erlebt hat oder es möchte einfach eine spannende Story erzählen. Das Erzählen dieser Art von Geschichten höre aber meist von allein wieder auf. Wenn Kleinkinder lügen, ist das laut Wissenschaftlern sogar gut für ihre kognitive Entwicklung. Daher dürft ihr als Eltern ruhig mitspielen, wenn sie euch eine Fantasiegeschichte zum Besten geben. Natürlich nur so lange niemand geschädigt wird.

Kids in der magischen Phase erzählen aber auch schon mal Geschichten, die Eltern beunruhigen. Laut Kriebs solltet ihr euch dann die Frage stellen, ob euer Kind gerade in einer Situation unglücklich ist. Es könne sein, dass das Kind sein Unbehagen über diese erfundene Geschichte ausdrücke, weil es sich über etwas geärgert oder ein unerfülltes Bedürfnis hat.

Bewusstes Lügen ab vier Jahren

Kinder ab etwa vier Jahren haben bereits die Fähigkeit erworben, sich in andere hineinzuversetzen und können nun bewusst lügen. Meist stecke ein unerfülltes Bedürfnis dahinter. „Ein Kind lügt aus einer Not heraus. Das ist die einzig scheinbare bisherige Möglichkeit, ein Bedürfnis zu erfüllen, das im Mangel ist“, sagt Kriebs.

Ein Bedürfnis könne auch sein, die Eltern nicht zu enttäuschen. Daher lügen sie zum Beispiel, wenn sie etwas angestellt haben. Sie schwindeln laut Stotz auch, weil sie sich mehr Aufmerksamkeit wünschen. So erzählen sie euch, was sie schon alles draufhaben, obwohl das gar nicht stimmen kann. Manchmal lögen die Kleinen auch, um selbstbestimmt zu handeln oder weil sie überfordert sind. Gefühle wie Angst oder Scham provozieren Stotz zufolge ebenfalls Lügen. Vielleicht hat euer Kind einen Fehler begangen, den es nicht zugeben mag.

Ältere Kinder und Jugendliche lügen dagegen manchmal, weil sie eine Handlung verheimlichen möchten. Aber auch hier stecke ein Bedürfnis dahinter. Rauchen Teenager zum Beispiel heimlich, gehe es darum erwachsen zu sein oder dazuzugehören. Wenn sie klauen und das verschweigen, möchten sie vielleicht eine Reaktion von ihren Eltern bekommen. „Es geht dabei nicht ums Lügen an sich, sondern um das dahinter“, sagt Kriebs.

Verständnis statt Strafen

Doch wie reagiert ihr als Eltern am besten auf eine Lüge? Laut Kriebs solltet ihr ruhig bleiben und erst einmal verstehen, was zur Lüge geführt hat, ohne eurem Kind Vorwürfe zu machen. Dadurch fühle es sich verstanden. Das sei auch in der Pubertät sehr wichtig.

Außerdem rät Kriebs dazu, die Lüge nicht überzubewerten. „Bei Kindern setzen wir das moralische Lineal sehr niedrig an. Es hilft uns aber viel mehr, wenn wir einfach verstehen, dass Kinder dieselben Ängste und Sorgen haben, wie wir, wenn wir uns nicht getraut haben zu sagen, wie es wirklich ist“, sagt Kriebs.

Hat euer Kind etwas falsch gemacht und das nicht erzählt, erklärt ihm, dass niemand perfekt ist und es keine Angst vor eurer Reaktion haben muss. Erfindet euer Kind immer wieder Geschichten über etwas, dass es vermeintlich gut kann, solltet ihr laut Stotz das Selbstbewusstsein eures Sprösslings stärken. Das funktioniere ganz gut, indem ihr die Talente eures Kindes fördert.

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Beziehung pflegen

Trotzdem dürft ihr natürlich klar sagen, dass ihr lügen nicht gut findet. Sprecht unter vier Augen offen über das Thema, ohne zu schimpfen oder zu strafen. Versucht die Beweggründe eures Kindes zu verstehen, ohne es mit Fragen zu bombardieren. Gemeinsam sucht ihr dann nach einer Lösung, um Lügen in Zukunft zu vermeiden. Dafür müsst ihr eure Regeln aber nicht aufgeben. Vielleicht findet ihr aber bei manchen Themen Kompromisse, denn „eine sehr enge, sehr rigide Erziehung führt dazu, dass das Kind versucht Lücken zu finden, um Bedürfnisse zu erfüllen“, sagt Kriebs.

Wichtig sei es generell, dass ihr als Eltern die Beziehung zu eurem Kind pflegt. Wenn diese gut sei, würde es sich auch an Regeln halten, weil ihm die Eltern wichtig seien. Je weniger sich das Kind von euch Eltern verstanden fühlt, umso größer werde die Distanz. Dann bestehe die Gefahr, dass es aus Trotz unerlaubte Dinge tue, die es dann mit einer Lüge geheim hält.

Um euer Kind generell zu Ehrlichkeit zu erziehen, helfen euch auch die folgenden vier Tipps: 

1. Gutes Vorbild sein

Auch Eltern lügen hin und wieder. Um Konflikte zu vermeiden, wird schon mal erzählt, dass die Süßigkeiten leer sind, obwohl die halbe Packung noch voll im Schrank liegt. Um eure Kinder zu Ehrlichkeit zu erziehen, solltet ihr laut Stotz aber selbst ein gutes Vorbild sein. Das gelte auch dann, wenn es dadurch mehr Reibereien gibt. Wenn ihr selbst doch einmal beim Flunkern erwischt werdet, dann solltet ihr dazu stehen und euch entschuldigen.

2. Empathie fördern

Wenn euer Kind älter als vier Jahre ist, hilft es Stotz zufolge auch, es zu animieren, sich in andere hineinzuversetzen. Fragen wie „Wie fühlst du dich, wenn ein Freund dich anlügt“ seien dabei hilfreich.

3. Wiedergutmachung vorschlagen

Die Konsequenzen einer Lüge verstehen Stotz zufolge Kinder ab dem Grundschulkinder schon gut. Wenn die Lüge einen anderen Menschen verletzt hat, rät sie daher zu einer Wiedergutmachung. So lernt euer Kind Eigenverantwortung.

4. Vertrauen schenken

Wenn euch euer Kind etwas erzählt, solltet ihr ihm Stotz zufolge zunächst glauben. Ansonsten bekomme das Vertrauen einen Riss und euer Kind werde sich nicht mehr so gerne öffnen. Wenn es ehrlich ist, gebt ihm positives Feedback. Auch dann, wenn ihr das eigentliche Verhalten nicht gut findet. Dadurch werde euer Nachwuchs bestärkt, ehrlich zu sein.

Gesprächspartnerin:

Gespräch mit Diplom-Pädagogin und Systemische Familientherapeutin Simone Kriebs

Quellen:

Martina Stotz, Familien-, Paar- und Erziehungsberaterin, Artikel „Was tun, wenn mein Kind lügt? 11 Tipps für Eltern“: mein-erziehungsratgeber.de, (aufgerufen am 06.02.2024)

 

“Lügen gehört zur kindlichen Entwicklung und beweist Intelligenz”, Kinderärzte im Netz, (Stand 15.7.2010)

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