Bald ist es soweit – euer Kind kommt in die Kita. Für Eltern und Kinder ist das ein großer Schritt, der oft mit gemischten Gefühlen einhergeht: Vorfreude auf der einen und Trennungsschmerz auf der anderen Seite. Die Eingewöhnung in der Kita soll dafür sorgen, dass alle gut im neuen Alltag ankommen. Wie sie am besten gelingt, verrät uns Sylvia Bardo aus erster Hand.
Sylvia ist seit rund 20 Jahren als Erzieherin in einer Berliner Eltern-Initiativ-Kita tätig, die sie selbst mitbegründete. Seit vielen Jahren hat sie außerdem die pädagogische Leitung der Kita inne. Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin studierte Sylvia berufsbegleitend „Erziehung und Bildung im Kindesalter“. Aus jahrelanger Erfahrung weiß sie, worauf es bei der Eingewöhnung ankommt.
Liebe Sylvia, vor etwa 20 Jahren hast du gemeinsam mit Kolleg:innen und Eltern eine Kita gegründet. Kannst du dich noch an deine erste Eingewöhnung erinnern?
Damals waren wir tatsächlich noch mitten im Gründungsprozess. Wir hatten ein Konzept erarbeitet, uns mit Eltern zusammengetan und endlich auch Räumlichkeiten gefunden. Diese waren jedoch noch nicht bezugsfertig, als die ersten Kinder eingewöhnt werden sollten. Also stellte uns eine der Familien ihre Wohnung zur Verfügung. Das war natürlich eine Notlösung, aber es hat funktioniert. Auch, wenn die Kinder sich später noch an die neuen Kita-Räume gewöhnen mussten – die erste große Hürde war genommen: Sie hatten eine vertrauensvolle Beziehung zu uns Erzieher:innen aufgebaut.
Was braucht es denn genau, um dieses Vertrauen aufzubauen?
Natürlich gibt es für die Eingewöhnung einen theoretischen Überbau. Es gibt verschiedene pädagogische Modelle, die die Herangehensweise vorgeben. Wie viele Berliner Kitas gewöhnen wir nach dem Berliner Modell ein. Das Modell gibt einen pädagogischen Ansatz und einen Rahmen für die Eingewöhnung vor. In der Praxis schauen wir aber auch individuell auf das Kind, die Eltern, uns selbst und den Eingewöhnungsprozess.
Wie sieht denn die Eingewöhnung nach dem Berliner Modell genau aus?
Die erste wichtige Etappe, um eine gute Vertrauensbasis zu schaffen, ist das Kennenlernen und das Vorgespräch. Die Eltern sollten sich mit der Einrichtung vertraut machen und uns Erzieher:innen besser kennenlernen. Wir erklären den Eltern genau, wie die Eingewöhnung abläuft, welche Schritte folgen, was sie und ihr Kind erwartet. Besonders wichtig ist, dass man sich bereist im Vorfeld über Sorgen, Ängste und Nöte austauscht. Eltern und Erzieher:innen sollten schon von Anfang an ganz offen miteinander sprechen. Das schafft eine Vertrauensbasis und gibt uns Anhaltspunkte für den weiteren Verlauf der Eingewöhnung: Worauf müssen wir achten? Wo gibt es ggf. später noch Gesprächsbedarf? Schließlich ist es ja so, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern „eingewöhnt werden“.
Im zweiten Schritt beginnt die eigentliche Eingewöhnung. Mindestens 3 Tage lang kommt ein Elternteil mit dem Kind für maximal eine Stunde in die Kita. In dieser Phase beobachten wir erstmal nur. Wie ist das Bindungsverhalten? Wie reagiert das Kind auf andere Kinder und auf uns Erzieher:innen? Die Eltern sind zwar mit im Raum, nehmen aber nicht aktiv teil. Das ist zum Beispiel ein großer Unterschied zum Münchener Modell, wo die Eltern gemeinsam mit dem Kind die Kita erkunden und auch „mitspielen“.
Schritt drei ist der erste Trennungsversuch. Dieser kann, wenn alles gut läuft, am 4. Tag erfolgen. Die Eltern verlassen für ca. 15 Minuten den Raum. Wichtig ist, dass sie sich nicht rausschleichen, sondern sich von dem Kind verabschieden. Am besten mit einem kleinen Ritual, welches auch später beibehalten werden kann. Ein Übergangsobjekt wie das Lieblingskuscheltier oder ein Schnuffeltuch können hier hilfreich sein. Wir Erzieher:innen beobachten, wie das Kind auf die Trennung reagiert. Im besten Fall werden in den nächsten Tagen und Wochen die Trennungsphasen immer größer.
In der 3. Woche folgt idealerweise die Stabilisierungsphase. Die Eltern verabschieden sich gleich nach dem Bringen. Das ist ein großer Schritt. Jetzt kommt es wirklich darauf an, ob wir Erzieher:innen eine gute Beziehung zum Kind aufgebaut haben. Bevor die Betreuungszeiten erweitert werden, wollen wir sicher sein, dass wir ein sicherer Hafen für die Kinder sind.
Woran merkt ihr, dass die Eingewöhnung gut läuft und dass das Kind euch vertraut?
Wir achten darauf, ob das Kind morgens gern in die Kita kommt, ob es sich gut trennen kann und den Tag unbelastet übersteht. Natürlich kommt es vor, dass auch mal ein Tränchen fließt. Ganz wichtig ist es, dass das Kind sich dann von uns trösten lässt. Wenn das gelingt, wissen wir, dass es sich aufgehoben fühlt.
Wieviel Zeit sollten Eltern für die Eingewöhnung einplanen?
Im Berliner Modell dauert eine ideale Eingewöhnung etwa 4 bis 6 Wochen. Schrittweise bleibt das Kind über längere Zeiträume in der Kita. Meilensteine wie das gemeinsame Mittagessen und der Mittagsschlaf werden nach und nach genommen. Jedoch gibt es auch Fälle, wo nicht alles glattläuft und es länger dauert. Hinzu kommt, dass Kinder in den ersten Kitawochen krank werden können und die Eingewöhnung unterbrochen werden muss. Im Idealfall haben Eltern daher etwas zeitlichen Puffer, bevor sie wieder in den Job einsteigen.
Was können Eltern tun, damit die Eingewöhnung so gut wie möglich gelingt?
Tatsächlich ist es oft so, dass viele Eltern ihr Kind bis zum Kita-Start ausschließlich selbst betreuen. Die Umstellung ist dann natürlich ein großer Einschnitt. Manchmal hilft es daher, wenn Eltern und Kinder schon vor dem Kita-Einstieg die Fremdbetreuung „üben“ – mit Großeltern, Familienangehörigen, Freunden oder einem Babysitter.
Und dann sollten natürlich nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern bereit für die Kita sein. Wenn Eltern nervös sind, nicht loslassen können oder vor dem Kind negativ über die Kita sprechen, bekommt das Kind es mit. Daher es ist ratsam, wenn Eltern sich vor dem Kitastart mit den eigenen Ängsten und Sorgen auseinandersetzen und dem Kind ein positives, bestärkendes Gefühl vermitteln.
Während der Eingewöhnung können Eltern darauf achten, Alltagsstress zu vermeiden. Eltern sollten sich morgens entspannt Zeit nehmen, harmonisch das Haus verlassen, und es auch am Nachmittag langsam angehen lassen. Bestenfalls finden während der Eingewöhnung keine weiteren großen Veränderungen statt, wie z.B. ein Umzug oder die Geburt eines Geschwisterchens. Denn der Start in die Kita ist für Kinder bereits eine große Umstellung.
Und zu guter Letzt ist natürlich die Beziehung zu uns Erzieher:innen wichtig. Wenn es Zweifel, Sorgen oder Ängste gibt, sollten Eltern immer auf uns zukommen. Das gilt natürlich auch für uns. Offene und ehrliche Gespräche sind die Basis einer guten Eingewöhnung, Vertrauen ist das A und O.
Auch nach einem erfolgreichen Kita-Start kann Trennungsangst immer wieder ein Thema sein – zum Beispiel, wenn Eltern wieder berufstätig sind und für mehrere Tage verreisen müssen. Wie ihr am besten mit der räumlichen Trennung während Geschäftsreisen umgeht, erfahrt ihr in diesem Artikel.
Mehr über die verschiedenen Eingewöhnungsmodelle erfahrt ihr hier: