Auswandern mit Familie: Was ist Heimat – und wo liegt sie?

Ein Paar, drei Kinder und ein Wohnmobil: Familie Steffen (*Namen geändert) hat Deutschland verlassen, doch ohne irgendwo anders anzukommen. Ihre Heimat hat nun vier Räder und fährt mit ihnen quer durch Europa. Wie lange die Reise dauert und wo sich die fünf irgendwann niederlassen, steht in den Sternen. Seit einem halben Jahr sind sie nun unterwegs, auf engem Raum zusammen und die Welt um sich herum. Wer es nachmachen will, der braucht Nerven und die Akzeptanz, dass sich das Leben nicht berechnen lässt.

Der erste Teil der Reise führte die Familie durch Südeuropa, an der Adria entlang, nach Griechenland, dann mit der Fähre nach Italien und von dort in die Schweiz. Nach einem Abstecher in die alte Heimat, Deutschland, ist als nächstes der Osten und dann der Norden dran.

Ich habe mit den Steffens gesprochen.

Auswandern mit Familie

Danke, dass ihr euch die Zeit für dieses Interview nehmt. Zuerst möchten wir uns gern ein Bild von euch machen: Stellt euch uns bitte kurz vor!

Monika: Wir sind ein Elternpaar und drei Kinder. Ich bin 44 Jahre alt, mein Mann Paul ist 55: Wir feiern gerade ein Schnapsjahr! Unsere Kids heißen Mila, Jonas und Felix – 16, 14 und 6 Jahre.

Wann und warum ist euch der Gedanke gekommen, Deutschland zu verlassen?

Mila: Wir haben uns Filme angeschaut, wie andere Familien auswandern. Und es hat uns gefallen, auf Reisen zu sein und Europa anzuschauen.

Paul: Zuerst gab es ein Problem, nach unseren Vorstellungen zu wohnen. Wir hatten eine kleine Wohnung ohne eigenen Garten, wollten aber gern ein Haus zur Miete. Leider konnten wir nichts im passenden Preisbereich finden, und dann kam dieser Freiheitsdrang, die Idee, etwas ganz anders zu machen. Wir haben uns mit anderen Familien im Internet übers Auswandern ausgetauscht, dabei hat es uns noch mehr gekribbelt. Wie wäre es, einmal richtig frei zu sein, umherzuziehen in der Welt und sich eine Herzensheimat zu suchen? Andere Lebensweisen kennenlernen, den Horizont erweitern und schließlich genau dort ankommen, wo wir möchten. Da wir Christen sind, haben wir auch von Gott ein “Go” angefragt, und gemerkt, dass er uns losschicken will. Tja, dann wurde aus der Idee Wirklichkeit.

Auswanderer suchen sich normalerweise zuerst einen Zielort aus. Warum habt ihr euch auf eine Reise in Ungewisse begeben? Und welche Vorstellungen habt ihr von eurem endgültigen Ziel?

Monika: Wir wussten einfach kein festes Ziel, woher auch? Man muss doch erst einmal die Länder und Regionen kennenlernen, bevor man sich entscheiden kann. Es gibt so viele verschiedene Kulturen und Mentalitäten, sie unterscheiden sich nicht nur von Staat zu Staat. In Griechenland ist zum Beispiel der Süden völlig anders als der Norden. Wie kann man vorher wissen, was einem am besten liegt?

Mila: Eine Vorstellung vom Ziel habe ich ein bisschen, ich halte nach einem schönen Haus Ausschau, am liebsten ein Bauernhaus, wo wir einen eigenen Campingplatz eröffnen können.

Paul: Ja, das wäre schön. Und ein Ort, wo Monika genug Platz hat, um Gemüse anzubauen. Das hat sie schon immer gern getan, aber im Garten unserer alten Wohnung war das kaum möglich. Wir möchten gern ländlich leben, weiter unsere Freiheit genießen, etwas Eigenes auf die Beine stellen, aber mit Anschluss an einen Ort.

Was sollte man unbedingt mitnehmen, wenn man auswandert wie ihr? Was sind die wichtigsten Vorbereitungen?

Monika: Also, wenn man mit dem Wohnmobil losfährt, dann sind das ganz praktische Dinge. Ein gescheiter, kleiner Staubsauger zum Beispiel, der richtig was schafft. Eine funktionierende Campingwaschmaschine, eine leichte Feuerschale, am besten mit Grill. Ich empfehle, ganz viele Youtube-Videos übers Campen zu schauen, dann kann man von den Erfahrungen anderer Leute profitieren. Macht das unbedingt auch dann, wenn ihr zu einem festen Ziel auswandert: Videos anschauen, von Menschen, die schon dort sind, wo ihr hinwollt. Dann bekommt ihr handfeste Infos und ganz viele Inspirationen.

Paul: Ich habe festgestellt, dass Spielzeug auf so einer Reise weitgehend überflüssig ist. Für Felix haben wir zu viel mitgenommen, aber er findet in der Natur und auf den Stellplätzen immer etwas Neues zum Spielen. 

Mila: Ich finde ein Handy absolut wichtig, um in Kontakt mit meinen Freunden zu bleiben. Und wenn du neue Freunde auf der Reise findest, dass du ihre Nummer einspeichern kannst.

Wie ist das mit der deutschen Schulpflicht, gilt die für euch nicht? Und wie beschult ihr eure Kinder nun?

Paul: Wenn du in Deutschland nicht mehr gemeldet bist, entfällt die Schulpflicht. Behaltet ihr aber eine Wohnung, ist normalerweise nur ein Sabbatjahr möglich, und das auch nur, wenn der Schulrektor zustimmt.

Monika: Wir machen unterwegs Homeschooling, es gibt viel gutes Material vom Mildenberger Verlag. Ich habe zwar den Part der Lehrerin übernommen, aber in den Heften können die Kinder auch gut selbständig arbeiten. Und unterwegs lernen sie automatisch noch viel mehr, aber vom realen Leben.

Mila: Welches Fach wir haben, kommt ganz darauf, wo wir gerade stehen, ob an einer Burg oder auf einem Parkplatz. Auf einem Parkplatz Mathe und Deutsch, und wenn wir an einer Burg stehen, eher Geschichte.

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In Meteora. Zeit für Geschichte!

Wie gelingt es, unterwegs im Wohnmobil den Familienfrieden zu halten? Gibt es Rückzugsräume und wie sehen die aus?

Paul: Am Anfang war es richtig schwer. Viel schwerer als gedacht. Dauernd Regen und Kälte, wir sind im November losgefahren, alle hockten aufeinander und es gab viele Reibereien.

Monika: Dann haben wir etwas Interessantes entdeckt: Unser Wohnmobil besteht wie eine Wohnung aus einzelnen Räumen, und wenn man die Grenzen respektiert, hat jeder seinen Rückzugsraum. Der Fahrerbereich lässt sich durch einen Vorhang abtrennen, das ist mein Wintergarten mit schöner Aussicht. Wenn ich dort sitze, geht mich der Lärm im Wohnzimmer hinter mir nichts mehr an.

Paul: Ja, und hinten liegen die Kinderzimmer. Wer auf seinem Bett sitzt oder liegt, ist im eigenen Zimmer und soll nicht gestört werden.

Mila: Bei gutem Wetter gehen wir ja auch auseinander, also raus. Bei schlechtem Wetter kann es auch mal einen Tag schlechte Laune geben, die muss jeder aushalten. Meist geht man an dem Tag einfach früher schlafen.

Habt ihr unterwegs schon eine mögliche neue Heimat gesehen?

Mila: Wir halten überall Ausschau. Letzens haben wir ein Grundstück zum Verkaufen gesehen, aber das war ziemlich runtergekommen. Und einmal waren wir in einem Immobilienbüro und haben da Häuser angeschaut. Sonst hält man einfach Augen und Ohren offen.

Monika: Wir haben schon mehrere Orte gesehen, wo wir uns vorstellen könnten, zu leben. Ein Farmhaus in Griechenland zum Beispiel, mit viel Grundstück zum Gemüseanbau. Und ein Häuschen in der Toskana, ein sogenanntes Rustico, mit eigenem Olivenhain.

Paul (lacht): Ohne Gemüse geht’s bei Monika nicht! Ich habe schon darüber nachgedacht, auf dem Wohnmobil einen Dachgarten für Gemüse anzulegen, damit sie sich unterwegs besser entspannen kann und nicht immer so schnell weiterwill. Sie ist bei uns der Bauer.

Was war seit eurem Aufbruch aus Deutschland euer größtes Abenteuer? Und was waren die größten Schwierigkeiten?

Paul: Da gibt es viel zu erzählen, eigentlich war im letzten halben Jahr jeder Tag ein Abenteuer. Wir wussten nie, wie genau es weitergeht, wo wir als nächstes landen. Weil wir dachten, dass es im Süden wohl eher nicht schneit, sind wir gleich zu Anfang mit Sommerreifen in Kroatien gelandet. Und Schneeketten gab es nirgends zu kaufen. An der Küste hatten wir dann Bora, so kräftig, dass sich der Wagen in eine Schiffschaukel verwandelt hat.

Monika: Eins hat mich total aufgeregt! Für die Fähre von Griechenland nach Bari gab es eine getrennte Zollabfuhr. Paul musste mit dem Wagen dadurch und wir mit unserem Handgepäck zu Fuß. Es war ein Gewusel, man fand sich kaum zurecht, und dann die weiten Wege und nirgendwo Informationen, wie und wann es an Bord geht. Auf der vierstöckigen Fähre voller Lastwagen mussten wir uns dann irgendwie wiederfinden.

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Auf der vierstöckigen Fähre nach Bari. Wie ein befahrbares Hochhaus.

Mila: Einmal sind wir steckengeblieben und ein Traktor musste uns rausziehen.

Paul: Und diese Kühe im Kreisverkehr, die da ganz allein grasten! Und die steilen Straßen in Griechenland, wo man mit so einem Fahrzeug wie unserem dauerbremsen und beten muss, wenn es abwärts geht. Die haben schon eine andere Vorstellung von Straßenbau als wir.

Habt ihr manchmal Heimweh oder überlegt ihr sogar, wieder zurück nach Deutschland zu gehen?

Mila: Heimweh habe ich nur manchmal, aber sobald wieder ein schöner Tag anbricht, will man gar nicht mehr zurück ins alte Leben. Nur die Freunde fehlen einem. Zurück nach Deutschland ist bei uns manchmal die Frage, wenn wir mit dem Leben im Wohnmobil nicht klarkommen.

Monika: Heimweh, ich? Manchmal. Es ist aber eher die Sehnsucht nach einem normalen Leben, nach einem Stützpunkt, wo man zu Hause ist und sich erholen kann. Also nicht wirklich Heimweh nach Deutschland. Eher sogar Fernweh, und die Lust auf mehr Luxus, als wir jetzt haben. Insgesamt mögen wir das gechillte südländische Leben mehr als die Anspannung in Deutschland. Griechenland ist ein tolles Beispiel dafür, wie die menschliche Atmosphäre für uns sein sollte. Die Griechen sind wirklich sehr cool.

Bereut ihr irgendetwas, würdet ihr etwas Bestimmtes rückwirkend lieber anders machen?

Paul: Wir hätten uns mit den Vorbereitungen mehr Zeit lassen sollen. Ich empfehle, mit einem perfekten Auto loszufahren, nicht mit einer fahrenden Baustelle, wie wir. Lieber vorher alles regeln und dafür zwar später, aber dafür relaxed losfahren. Doch wir haben uns selbst vor vollendete Tatsachen gestellt, hatten die Wohnung gekündigt und uns abgemeldet. Irgendwie hat es doch zu sehr gekribbelt, diese Eile haben wir später bereut.

Zum Abschluss: Was ist euer wichtigster Tipp für Familien, die wir ihr auswandern möchten?

Mila: Nehmt nicht zu viel Zeug mit! Wirklich nur das Nötigste, also jetzt nicht zig Kuscheltiere, sondern nur eines.

Paul: Ihr solltet alle bürokratischen Angelegenheiten vorher regeln, und damit meine ich wirklich alle. Krankenkasse, Kindergeld, Steuern, insgesamt die finanzielle Versorgung absolut durchdenken und sich im Zweifelsfall immer an den entsprechenden Stellen erkundigen. Beim Kindergeld sagte man uns zum Beispiel, dass aktuell jeder Fall separat geprüft wird. Da muss man ganz schöne viele Fragen beantworten und die Bearbeitung dauert ihre Zeit.

Monika: Ich kann nur empfehlen, nicht auf blauem Dunst in irgendein Land auszuwandern. Lernt das Land und auch die konkrete Region vorher kennen, verbringt eure Zeit dort, schließt Bekanntschaften. Vielleicht treffen die Vorstellungen, die ihr euch aus der Ferne macht, gar nicht zu. Dann ist es besser, ihr merkt das, bevor ihr euch fest entschieden habt und könnt euch noch umorientieren. Am besten finde ich es sogar, mehrere Länder auszutesten und dann erst zu entscheiden. Auf unserer Reise haben wir so viele Unterschiede gesehen und es gibt immer wieder Überraschungen, die auch negativ sein können. Geht also sorgfältig vor, schließlich möchtet ihr den Rest eures Lebens in der neuen Heimat verbringen, oder?

Nochmals danke, dass ihr eure Erlebnisse mit uns teilt. Ich wünsche euch, dass ihr findet, wonach ihr sucht – nicht nur am Ende der Reise, sondern auch schon unterwegs. Alles Gute!

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